In Braunschweig ist eine dynamische Start-up-Szene entstanden
● Schlüsselrolle der Universitäten
● Fördermittel für die TU
Gastbeitrag von Professor Dr. Reza Asghari
Seit den 2000er-Jahren vollzieht sich die Mutation der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft, die von einem Prozess der Wissensintensivierung der Wertschöpfungsprozesse begleitet wird. Nicht zuletzt durch die Digitalisierung konnte die Innovation zum entscheidenden Bestimmungsfaktor des weltweiten Wettbewerbs avancieren.
Je erfolgreicher die Forschungsergebnisse aus den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen Zugang in die Wirtschaft finden, umso innovativer und wettbewerbsfähiger ist die Wirtschaft. In diesem Kontext kommen den Technologie-Start-ups als Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft eine zentrale Bedeutung zu. Sie sind Träger der Innovation und oft die ersten, die neue Technologien und Geschäftsmodelle in den Markt einführen. Universitäten übernehmen dabei eine Schlüsselrolle, indem sie nicht nur als Brutstätten für Innovationen dienen, sondern auch die notwendigen Fähigkeiten vermitteln, um die Gründung und Skalierung von hochinnovativen Jungunternehmen zu ermöglichen.
Die vier wertvollsten Unternehmen der Welt (Microsoft, Apple, Google und Amazon) sind jünger als 30 Jahre und haben die mächtigen, traditionsreichen Industrieunternehmen der Welt längst überholt. Der Marktwert von Amazon allein übersteigt den Gesamtwert der acht wertvollsten deutschen Unternehmen (SAP, Siemens, Deutsche Telekom, Allianz, Porsche, Merk, Mercedes-Benz, BMW).
Beim fahrerlosen Fahren verfügt Waymo, ein Start-up der Holding Alphabet (früher Google), über die umfassendste Fahrerfahrung weltweit.
Start-ups als Treiber des Wirtschaftswachstums
Die dringend erforderliche Energiewende und die damit verbundene ökologische Transformation werden ohne hochinnovative Green-Start-ups kaum zu bewältigen sein. Universitäten sind zentrale Akteure in der Wissensökonomie. Sie fungieren als Inkubatoren für Ideen und Start-ups. Durch spezialisierte Kurse, Entrepreneurship-Centren, Mentoring- und Accelerator-Programme unterstützen sie aktiv die Gründung von Start-ups. Amerikanische Universitäten sind uns in diesem Bereich meilenweit voraus. Seit den1960er Jahren sind aus der Universität Stanford über 40.000 Start-ups hervorgegangen, die auch heute noch am Markt operieren.
Dank dem EXIST-Programm in Deutschland, das Studierenden, Absolventen und Wissenschaftlern hilft, ihre Geschäftsideen zu entwickeln und zu kommerzialisieren, konnte das Thema Start-up-Gründung in den wissenschaftlichen Einrichtungen einen zunehmend wichtigeren Raum einnehmen. Die TU Braunschweig konnte im Rahmen des EXIST-Programms erhebliche Fördermittel erfolgreich zur Stärkung des Start-up-Ökosystems in der Region Brauschweiger Land einwerben.
Erfolgsmodelle aus Braunschweig
In Braunschweig tragen mehrere Institutionen erheblich zur Dynamik der Start-up-Szene bei. Neben dem Entrepreneurship Hub und Transferservice der TU Braunschweig sind Braunschweig Zukunft GmbH und TRAFO Hub maßgebliche Stakeholder des Start-up-Ökosystems. Braunschweig Zukunft unterstützt mit den Programmen Moin und WIN systematisch die wissensintensiven Ausgründungen aus der TU Braunschweig und aus den Forschungseinrichtungen. Auch borek.digital hat in den vergangenen Jahren deutlich zur Stärkung der Gründungskultur in Braunschweig beigetragen. Durch das Zusammenspiel der genannten Stakeholder hat sich Braunschweig zu einem attraktiven Standort für Technologie-Start-ups entwickelt. Trotz erzielter Erfolge in den vergangenen Jahren müssen die Rahmenbedingungen für die Entstehung und Entwicklung von Technologie-Start-ups noch optimiert werden.
Der Rechtsrahmen der meisten Hochschulgesetze in Deutschland weist gewisse Defizite hinsichtlich der Start-up-Förderung an deutschen Hochschulen aus. So zum Beispiel muss noch die Nutzung der Forschungsinfrastruktur, durch die bereits aus der Hochschule heraus gegründeten Kapitalgesellschaften geregelt werden.
Trotz der dynamischen Start-up-Landschaft stehen Gründer vor einer Reihe von Herausforderungen. Eines der Hauptprobleme ist die Finanzierung. Obwohl es eine wachsende Zahl von Risikokapitalgebern gibt, bleibt der Zugang zu Kapital schwierig, besonders in den frühen Phasen der Unternehmensgründung. Darüber hinaus gibt es kulturelle Barrieren, die das Unternehmertum in Deutschland beeinflussen. Die Angst vor dem Scheitern ist in der deutschen Gesellschaft tief verwurzelt, was potenzielle Gründer davon abhalten kann, Risiken einzugehen.
Zukunftsperspektiven für den Innovationsstandort
Innovationsprozesse sind offene Prozesse, deren Endergebnisse nicht immer absolut voraussehbar sind. Hierbei ist es erforderlich, dass die Gesellschaft mehr Mut und Zuversicht erwirbt, um sich auf unbekanntes Terrain hinauszuwagen. Dabei ist das Scheitern die andere Seite der Erfolgsmedaille. Die lähmende Angst vor dem Scheiten verursacht unermessliche Opportunitätskosten. In den Zeiten der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz kommt es auf Geschwindigkeit, Reflexionsvermögen, Experimentierfreudigkeit und Lernfähigkeit an. Ohne diese Fähigkeiten werden wir uns mittel- und langfristig in einer sich rasant verändernden Weltwirtschaft kaum noch, wie in der Vergangenheit gewohnt, behaupten können.

Professor Dr. Reza Asghari ist Inhaber der Professur für Innovation und Entrepreneurship an der TU Braunschweig und der Ostfalia Hochschule. Unter seiner Federführung gewannen TU Braunschweig und Ostfalia Hochschule im Verbund den Exzellenzwettbewerb der Bundesregierung 2011 „EXIST IV-Gründerhochschule“. 2020 erhielten beide Hochschulen unter seiner Leitung die EXIST V‑Förderung des Bundes im Strang „International überzeugen“.