Der städtische Gestaltungswettbewerb zum sogenannten „Haus der Musik“ ging von falschen Voraussetzungen aus
Mit dem jetzt ausgezeichneten Siegerentwurf des städtischen Gestaltungswettbewerb zum sogenannten „Haus der Musik“ würde das Bestandsgebäude großenteils erhalten und behutsam weiterentwickelt. Die Außenhaut sei, so heißt es in der städtischen Pressemitteilung, eine Reminiszenz an die Fassade des früheren Karstadt-Gebäudes. Es setze die charakteristische Struktur von aufgeklappten Dach- und Fassadenflächen fort und entwickele daraus eine fragile Konstruktion, nach Innen aus Holz, die Leichtigkeit ausstrahlt. Die Fassade des Bestandsgebäudes sei 1978 nach Plänen des bedeutenden Architekten der Nachkriegsmoderne, dem Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm, entstanden. Ist das aber wirklich so?
Ratsgremien nicht gehört
Nein, das stimmt nicht. Cornelia Steiner schrieb am 11. Januar 2024 in der Braunschweiger Zeitung: „Anfang 1978 stand fest, dass die Fassade anders aussehen sollte als von Gottfried Böhm einst vorgeschlagen. Karstadt einigte sich mit der städtischen Bauverwaltung. Die Ratsgremien wurden dazu nicht gehört, was zu Ärger führte, aber nichts mehr änderte. 50.000 Dachziegel wurden verbaut, gefärbt in einen blau-grünlichen Ton. Im Juni 1978 eröffnete Karstadt das neue Einrichtungshaus.“ Karstadt hatte das im Bau befindliche Gebäude von Neckermann übernommen und die Böhmsche Fassade abgelehnt.
Karstadt wollte Böhms Fassade nicht
Bestätigt wird der BZ-Bericht von Bauhistoriker Ulrich Knufinke. „Die derzeitige Fassade entspricht nicht dem ursprünglichen Entwurf Böhms. Dieser war als Stahlbeton-Skelettbau mit über jede Etage versetzten Fenstern geplant, der von außen ein rostrot gestrichenes Stahlfachwerk vorsah. Der neue Eigentümer, die Karstadt GmbH, wollte dies jedoch nicht.“ Die Außenverkleidung sei unter Verwendung von Stahlfachwerk mit einer Bleiverkleidung konzipiert, hieß seinerzeit in der Braunschweiger Zeitung zu Böhms Siegerentwurf. Sie schrieb weiter von „gauben- und schlotartigen Auskragungen an einem großen kubischen Speicher mit geneigtem Dach“. Umgesetzt wurde all das nicht.
Fakten nicht so interessant
Offenbar waren diese Fakten bei der Beurteilung des aktuellen Siegerentwurfs nicht so interessant. In der „Initiative Baukunst“ hieß es: „Der siegreiche Entwurf des Kopenhagener und Hamburger Büros Adept zeigt beispielhaft, wie adaptive Wiederverwendung im regionalen Kontext funktionieren kann – ohne die charakteristische Handschrift eines Pritzker-Preisträgers zu negieren. Das Braunschweiger ‚Haus der Musik‘ könnte wegweisend für die adaptive Wiederverwendung von Nachkriegsbauten in deutschen Innenstädten werden. Die Verfassenden würdigen das ehemalige Karstadt-Gebäude als kulturelles Wahrzeichen der Stadt.“
Und die BZ stimmte mit ein in den kollektiven Jubel der Kulturszene: „Gleich ins Auge springt an den Plänen von Adept die Zuspitzung der auskragenden Schieferfassade, dem prägenden Gestaltungselement des Kaufhausbaus des Architekten Gottfried Böhm aus den 1970er Jahren.“
Falsche Fixierung auf Stararchitekten
Wozu führte nun aber diese von Anfang an falsche Fixierung und die Negierung der Tatsache, dass die Fassade gar nicht vom Stararchitekten Gottfried Böhm entworfen wurde? Der Jury war dieser gravierende Irrtum offenbar gar nicht so klar und orientierte sich an dem der Öffentlichkeit gut „zu verkaufenden“ großen Namen. Herausgekommen ist so eine noch düstere Erscheinung des Gebäudes, die Böhm sicher nicht gefallen hätte.

Böhm wäre unzufrieden gewesen
Ulrich Knufinke schrieb in seinem Beitrag „Das Warenhaus Karstadt am Gewandhaus von Gottfried Böhm: Die späte Moderne und die historische Stadt.“: „Noch nach der Fertigstellung fanden im Büro [Böhms] Planungen statt: Offenbar wollte man den im Ergebnis dunklen Eindruck der Fassaden durch Beleuchtungselemente (unter den Vorsprüngen aufgehängte Leuchten) aufhellen, wofür es Pläne im Maßstab 1:1 gibt. Sie wurden jedoch offenbar nie installiert.“

Zurückhaltendere Architektur angemessen
Es stellt sich, unabhängig von den zu erwartenden exorbitanten Kosten von rund 140 Millionen Euro für Kornblums Konzertpalast, die Frage, ob die Stadt die Wettbewerbsteilnehmer durch den expliziten Verweis auf Gottfried Böhm nicht auf die falsche gestalterische Fährte gelockt hat und gar nicht die für eine Neugestaltung des Altgebäudes angemessenen Vorschläge erhielt. Die städtebauliche Situation gegenüber dem historischen Gewandhaus und der Traditionsinsel Altstadtmarkt hätte jedenfalls eine deutlich zurückhaltendere Architektur als die von einer offenbar nicht vollumfänglich informierten Jury ausgewählten Idee verdient. Noch ist Zeit zur Umkehr, falls es überhaupt zu einer Realisierung des „Hauses der Musik“ kommt.