Ein Blick ins Kleingedruckte der Bürgerumfrage zu den Lebensbedingungen in Braunschweig offenbart vielfach Handlungsbedarf
Die Stadtverwaltung feiert aktuell das Ergebnis der ersten „umfassenden Bürgerumfrage zur Einschätzung und Bewertung der Lebensbedingungen in Braunschweig“ aus dem Jahr 2023. Danach sind 95 Prozent aller Bürger zufrieden, in Braunschweig zu leben. Das ist sehr erfreulich, aber es sind zwei Aspekte zu berücksichtigen, die wichtig sind im Umgang mit der Auswertung. Erstens ist die Befragung bereits mehr als 27 Monate alt. Seitdem hat sich eine Menge, nicht zum Positiven, getan in Braunschweig. Zweitens müssen die Resultate differenziert und nicht pauschal betrachtet werden. Das fördert dann, neben selbstverständlich vielem Guten in Braunschweig, auch Bemerkenswertes zutage, über das sich Stadtverwaltung und Kommunalpolitik Gedanken machen sollten. Darauf hat sich „Braunschweig im Focus“ in diesem Beitrag konzentriert.
Zu alt für ein realistisches Bild
Mittels einer Zufallsstichprobe aus dem Einwohnermelderegister waren für das Stimmungsbild 15.000 Personen ab 16 Jahren mit Hauptwohnsitz in Braunschweig zur Teilnahme aufgerufen. Bis zum Ende des Erhebungszeitraums am 30. Juni 2023 wurden 4.925 verwertbare Fragebögen zurückgesandt. Die Bürgerbefragung ist demnach nicht repräsentativ und zu lange her, als dass sie ein belastbares Bild der Zufriedenheit der Bürger zum jetzigen Zeitpunkt zeichnen könnte.
Mittlerweile werden die horrende Verschuldung der Stadt, die geplanten Luxusprojekte, das Geschäftesterben in der Innenstadt, die umstrittenen Velorouten oder das Baustellenchaos auf den Straßen heiß diskutiert. Das alles war damals noch nicht virulent. Das verkündete Ergebnis entspricht also nicht mehr der Realität.
Begrenzt familienfreundlich
Dennoch zu den Resultaten: Eine zentrale Voraussetzung für die positive Wahrnehmung einer Stadt durch ihre Bürger ist die Familienfreundlichkeit. Die Kommunalpolitik der nächsten Jahre sollte darauf den Fokus legen, denn nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) sah Braunschweig als familienfreundliche Stadt an. Ein Grund dafür war offenbar fehlender bezahlbarer Wohnraum. Diese Tatsache sahen 36,3 Prozent als drängendstes Problem der Stadt an. Mit den Schulen waren nur 26,7 Prozent zufrieden, mit den Kindertagesstätten nur 17,5 Prozent. Und der gerade für Schüler und Studenten wichtige Zustand der bestehenden Radwege wurde mit nur 31 Prozent Zufriedenheit schlecht bewertet. Die Instandsetzung sollte demnach Priorität gegenüber den ideologiegetriebenen Velorouten genießen.
Das Attribut „seniorenfreundlich“ mochten nur 34 Prozent der Stadt zuschreiben. Mangelhafte ärztliche Versorgung in der Stadt dürfte gerade älteren Menschen Sorgen bereiten. Mehr als jeder Vierte sah darin ein großes Problem der Stadt.

Verbesserungen möglich
Um sich in einer Stadt wohlzufühlen, sind Sauberkeit und Sicherheit herausragende Punkte. Verbesserungen sind in beiden Bereichen möglich. Mehr als jeder Dritte (38,1 Prozent) äußerte Kritik an der Sauberkeit in Braunschweig, in der Weststadt sogar mehr als jeder Zweite (51,4 Prozent). Nur eine knappe Mehrheit von 58,9 Prozent der Befragten war mit der Sauberkeit auf den öffentlichen Flächen in Braunschweig insgesamt zufrieden. Seither hat sich die Situation jedoch weiter verschlechtert, weil die für diesen Bereich installierte Beschäftigungsförderung der Volkshochschul-Tochter „Arbeit und Beruf GmbH“ für Personen ohne Arbeit ersatzlos gestrichen wurde. Sie wieder aufleben zu lassen, wäre ein guter Schritt.
Beim Thema Sicherheit spielt vor allem der Einbruch der Dunkelheit eine wesentliche Rolle. Rund zwei Drittel (61 Prozent) fühlten sich dann in Parks und Grünanlagen unsicher, mehr als die Hälfte in Parkhäusern und Tiefgaragen (54 Prozent) sowie mehr als jeder Dritte in der Innenstadt. Mit intensivierter Videoüberwachung oder mehr Kompetenzen für den städtischen Ordnungsdienst und stärkerer Präsenz ließe sich vielerorts ein ausgewogeneres Sicherheitsgefühl der Bürger ermöglichen.
Unzufrieden mit der Innenstadt
Nur noch 69,4 Prozent zeigten sich mit der innerstädtische Einkaufssituation zufrieden. Der Anteil der ausdrücklich unzufriedenen war mit 26,8 Prozent der zweithöchste Wert unter allen 28 abgefragten Infrastrukturen, Dienstleistungen und Angeboten. Nur für 40 Prozent wirkte Braunschweig modern, nur für 35 Prozent großstädtisch.
Durch die seither verstärkt auftretenden Geschäftsschließungen dürfte sich die Beurteilung der Innenstadt weiter negativ gestaltet haben. Dazu wird auch die verschlechterte Verkehrssituation mit den vielen parallellaufenden und teilweise erheblich behindernden Straßenbaumaßnahmen beitragen. Vor zwei Jahren waren noch 80 Prozent mit der Erreichbarkeit der City zufrieden. Die Unzufriedenheit hat durch die Baustellen Hagenmarkt, Theodor-Heuss-Straße, Bültenweg und Helmstedter Straße deutlich zugenommen, wie zum Beispiel aus Reaktionen zu unseren Beiträgen hervorgeht. Mit der Parkplatzsituation in Braunschweig war schon 2023 mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Befragten unzufrieden. Seither sind weitere Parkplätze weggefallen.
Kritischer Blick ins Rathaus
Und auch bei der Beurteilung der Stadtverwaltung lohnt ein Blick ins Kleingedruckte. Was sofort ins Auge fällt, ist die schlechte Bewertung in Sachen Finanzen. Nur 23 Prozent attestierten der Stadtverwaltung, dass sie „finanziell verantwortungsvoll“ handele. Dabei war im Juni 2023 von Milliardenschulden noch nicht die Rede. Dass die Stadtverwaltung „transparent im Handeln“ sei, meinten nur 29 Prozent. Nicht einmal die Hälfte der Befragten (26,3 Prozent) sah die Stadtverwaltung als „bürgernah“ an. Es gibt also jede Menge zu tun jenseits der verlautbarten Freude.











