Die links-grüne Empörungskultur nervt

Demonstranten beim „Aufstand der Anständigen“ nach der Debatte zur Migrationspolitik kurz vor der Bundestagswahl.
Demonstranten beim „Aufstand der Anständigen“ nach der Debatte zur Migrationspolitik kurz vor der Bundestagswahl. ©Shutterstock

Ulf Poschardt analysiert provokant das moderne Bürgertum

● „Shitbürgertum“ im Selbstverlag
● Moralische Autorität bröckelt

Wer sein Buch „Shitbür­gertum“ nennt, so wie Ulf Poschardt, früherer Welt-Chefre­dak­teur und heutiger Heraus­geber von WeltN24, lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um eine sehr pointierte Betrach­tung der aktuellen Gesell­schaft handelt. Poschardt geht mit dem modernen Bürgertum hart ins Gericht, spitzt zu, übertreibt, will provo­zieren. Er beschreibt, wie aus einer Protest­be­we­gung mehr und mehr eine links-grüne Empörungs­kultur mit der Attitüde der morali­schen Überheb­lich­keit werden konnte. Der „Shitbürger“ definiere sich entlang „morali­scher Reinheits­ge­bote“. Dabei entwi­ckele er eine kirchen­tags­taug­liche Weiter­ent­wick­lung des linken Konzepts. Poschardt gab sein Buch im Selbst­verlag heraus, weil kein tradi­tio­neller Verlag es wohl wegen seiner die „Shitbürger“ entlar­venden Offenheit drucken wollte. Es ist bei Amazon für 22 Euro gedruckt und für 9,90 Euro digital (Kindle) erhält­lich.

Das Buch ist direkt beim Verlag auch im Bundle mit passender Kopfbe­de­ckung zu haben.

Den Grund, warum er das Buch verfasste, nennt Poschardt im Vorwort: „Die kultu­relle Dominanz des Shitbür­ger­tums hat die Gesell­schaft gespalten, die wirtschaft­liche Vernunft vertrieben, Unter­nehmer und Unter­nehmen vergrätzt, Inves­toren und Wissen­schaftler verschreckt. Jetzt geht es darum, den Kompass wieder zu reinigen. Dieses kleine Büchlein ist ein Versuch.“

Mit dem Marsch durch die Insti­tu­tionen der 1968er sei das einstige Rebel­lentum verbe­amtet worden. Sämtliche pädago­gi­schen Einrich­tungen seien vom angehenden Bürgertum für „revolu­tio­näre Umerzie­hungs­pro­jekte“ in Kinder­gärten, Schulen und Univer­si­täten auser­koren worden. Wenn man so wolle, ließe sich das pastorale Pädago­gentum von der Kanzel herab dazu zählen. Dem öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk komme mit seinen gut 10 Milli­arden Euro Gesamt­etat eine besondere Rolle bei der geistig morali­schen Führung des Bürger­tums zu. Poschardt wirbt mit seinem Buch bei aller beißenden Kritik vor allem für einen respekt­vol­leren Umgang mit abwei­chenden Meinungen. Er ist im besten Sinne liberal in seinen Ansichten.

Er arbeitet heraus, wie sich das Nachkriegs-Bürgertum mit seinen Werten wie Freiheit, Toleranz und Verant­wor­tung verändert hat und gar ins Gegenteil verkehrte. „Diese beleh­rende Haltung durch­dringt nahezu alle Lebens­be­reiche. Sei es, wenn jemand seinen alten italie­ni­schen Sport­wagen nicht korrekt parkt, wenn die eigenen Kinder Schimpf­wörter benutzen, wenn es im Freibad oder bei politi­schen Diskus­sionen zu laut zugeht. Besonders aber, wenn in der Nachbar­schaft die Mülltren­nung nicht den strikten Vorgaben entspricht. Auch in den sozialen Medien, wenn geschei­terte linke Politik kriti­siert wird, tritt dieses Milieu mit oberleh­rer­hafter Arroganz in Erschei­nung und spricht von einer vermeint­lich höheren Warte auf die Schutz­be­foh­lenen herab“, kriti­siert Poschardt.

Kritik an Institutionen und Medien

Das moderne Bürgertum hinter­lasse eine „kultu­relle und ökono­mi­sche Spur der Verwüs­tung“. Das werde auf Dauer Deutsch­land und damit Europa und am Ende den Westen zerstören, malt Poschardt ein düsteres Bild. Der oppor­tu­nis­ti­sche Schwenk der CDU-Kanzlerin Angela Merkel ins linke Lager hinein habe schließ­lich zu einer wahren Entfes­se­lung der morali­schen Debatten geführt und mit der Flücht­lings­po­litik eine Art natio­nales Pathos befeuert.

In Deutsch­land sei die Unter­wer­fung unter den Zeitgeist in vielen Dax-Konzernen weitver­breitet gewesen, weil sich damit die Hoffnung auf Milli­ar­den­sub­ven­tionen verbunden hätte, die von den politi­schen Armeen des Bürger­tums, von der Merkel-CDU bis zur Links­partei, genehmigt werden sollten. Mitten in einer Energie­krise Atomkraft­werke abzuschalten und nur auf Sonne und Wind zu setzen, sei nur möglich gewesen, weil man sich vom gesunden Menschen­ver­stand da schon verab­schiedet hatte.

Selten sei Deutsch­land einsamer und gleich­zeitig rücksichts­loser im Durch­setzen seiner politi­schen Inter­essen gewesen. „Ein knappes Jahrzehnt nach dem Kontroll­ver­lust hat sich das Land verändert, und die morali­sche Autorität des Milieus beginnt zu erodieren“, schreibt der Autor. Der vom „Shitbür­gertum“ propa­gierte Multi­kul­tu­ra­lismus werde längst hinter­fragt. Das Buch „Shitbür­gertum“ regt gerade wegen seiner provo­kanten Art zur Reflexion über die gesell­schaft­li­chen Struk­turen an.

Ulf Poschardt

Ulf Poschardt (*1967) ist einer der profi­lier­testen Journa­listen Deutsch­lands. Er war Chefre­dak­teur des Magazins der „Süddeut­schen Zeitung“ und der deutschen Ausgabe von „Vanity Fair“. Von 2016 bis 2024 leitete er die „Welt“-Gruppe und ist seit 2025 Heraus­geber der Premium Gruppe POLITICO, WELT und BUSINESS INSIDER. Als Autor hat er sich mit Gegen­warts­kultur einen Namen gemacht. Zu seinen Werken zählen unter anderem „DJ Culture“, „Cool“, „Über Sport­wagen“, „Mündig“ und „911“.

Foto ©Marlene Gawirsch

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